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Roadtrip

Norwegens Fjordland: Unterwegs auf der Ryfylke-Route

Auf 260 Kilometern führt die Ryfylke-Landschaftsroute vorbei an Fjorden, Wasserfällen, Lachstreppen und einzigartigen Industriedenkmälern der norwegischen Geschichte. Ein Roadtrip abseits der Massen.

Datum 20.09.2024

Wie oft er die Treppe schon hinaufgestiegen ist? Hessel Haker kann es nicht sagen, aber eines weiß der 46-Jährige genau: „Was man beim Aufstieg beachten sollte: Du musst deinen eigenen Rhythmus finden, niemals zu schnell loslaufen, sonst wirst du es nicht schaffen. Du kommst außer Atem und dein Herz wird wild pochen.“

Hakers Rat klingt nicht von ungefähr wie die eines Wanderführers: 4.444 Stufen umfasst die schmale Holztreppe neben den Fallrohren des historischen Wasserkraftwerkes in Südnorwegen. Knapp 1,5 Kilometer führt die Stiege steil bergauf, sie überwindet einen Höhenunterschied von 740 Metern. Es soll die längste Holztreppe der Welt sein.

Beste Aussicht über den Lysefjord

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Schwindelerregende Aussicht auf den Fjord von der Holztreppe in Flørli

Und sie ist eine Touristenattraktion: Für den Aufstieg reisen die Besucher:innen nach Flørli am Lysefjord, wo das Wasserkraftwerk ab 1916 für die Stromversorgung der nahen Großstadt Stavanger im Südwesten Norwegens gebaut wurde. Damals muss es eine unvorstellbare Plackerei für die 200 Bauarbeiter gewesen sein. Alles Material wurde von den Männern bergauf getragen, manche hatten 80 Kilo auf dem Buckel, heißt es. Sie wurden nach getragenem Gewicht entlohnt.

Nach zwei Jahren war die erste Stufe des Wasserkraftwerkes mitsamt einem Speichersee fertig und konnte ans Netz gehen. Bis Ende der 1990er-Jahre war das Kraftwerk in Betrieb, dann wurde eine leistungsstärkere Anlage 900 Meter in den Berg gebaut, sie ist durch Tunnel erreichbar.

Flørli: Idyll abseits der Kreuzfahrtrouten

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Einst wurde im Wasserkraftwerk Flørli Strom erzeugt, heute fließt hier der Kaffee.

Zu der Zeit sollte Flørli mit seinen etwa einem Dutzend Häusern abgerissen werden, in denen Bauarbeiter und Beschäftigte des alten Kraftwerkes gewohnt hatten. Das wurde abgewendet. Der norwegische Alpenverein setzte sich für den Erhalt ein und richtete ein Café im historischen Kraftwerk ein, das der Niederländer Haker 2016 übernahm.

Autos gibt es nicht im winzigen Flørli, keine Straße führt hierhin. Besucher:innen reisen mit der Fähre ab Lauvvik östlich von Stavanger an. Ausflugsfahrten für die Passagier:innen der riesigen Kreuzfahrtschiffe, die in Stavanger haltmachen, sind derzeit indes nicht geplant: Flørli am Lysefjord soll frei bleiben von Massentourismus.

Flørli mit seinem Jugendstilkraftwerk ist einer der Orte in Norwegens Fjordland, der beispielhaft für die industrielle Blüte des Landes ab etwa 1900 steht. Mit der Nutzung von Wasserkraft kam die Energieversorgung in Schwung. Elektrizität wurde zur Grundlage für den Bau von Fabriken, etwa für Düngemittel, Zink, Aluminium und Stahlerzeugung.

Landschaftsroute am Lysefjord

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Die Ryfykle-Route führt am Suldalsvatnet-See vorbei.

Ortswechsel nach Høllesli, am Eingang des rund 40 Kilometer langen Lysefjordes. Hier beginnt die Landschaftsroute Ryfylke, die zu den interessantesten touristischen Zielen der Fjordregion führt. 18 solcher Landschaftsrouten wurden von der Straßenverwaltung des Landes geschaffen und sollen Reisende auch in die unbekannteren Regionen führen.

So soll die Ryfylke-Route an die Geschichte der Industrialisierung im Fjordland heranführen. Mal weg von den überlaufenen touristischen Hotspots wie dem viel fotografierten Preikestolen, der ebenfalls hoch über dem Lysefjord prangt. Von diesem breiten Felsvorsprung hat vermutlich jeder schon mal ein Bild auf Instagram gesehen.

Stattdessen geht es etwa nach Suldal, der selbst ernannten Hauptstadt der Wasserkraftwerke. Das mag vollmundig wirken, aber ist durchaus zutreffend: Immerhin erzeugen die Pumpspeicherkraftwerke der 3.900-Einwohner-Gemeinde neun Prozent des gesamten norwegischen Stromes. Ab den 1970er-Jahren entstanden hier im Gebiet des wasserreichen Flusses Suldalslågen sechs Anlagen.

Lachse beobachten am Suldalslågen

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Flussaufwärts im Suldalslågen finden sich die Laichplätze der Lachse.

Vom Inneren der Werke bekommen Reisende allerdings nichts zu sehen. Zutritt verboten! So sind auch die kilometerlangen Tunnel durch Stahltore verschlossen. Sie führen von Speicherseen durch die Fjordberge zu riesigen Hallen. In diesen Kathedralen der Technik erzeugen mächtige Turbinen und surrende Generatoren das grüne Gold aus Wasserkraft. 

Kurve um Kurve folgt die Ryfylke-Route dem Suldalslågen, der auch eines der besten Lachsgewässer in Norwegen ist. Am Sandsfossen-Wasserfall entstand eine Lachstreppe, mit der die Fische die Stromschnelle überwinden und flussaufwärts zu ihren Laichplätzen gelangen.

Von Juli bis September ziehen die Wanderfische aus dem Meer den Suldalslågen hinauf, um zu laichen. Hinter einer dicken Glasscheibe kommen Besucher:innen den Fischen nahe: Auge in Auge mit den Lachsen. Die kleine Beobachtungskammer am Sandsfossen bezeichnen sie hier mit einem Augenzwinkern als „erstes Lachsstudio Norwegens“.

Designhotel und Industriemuseum

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Dem einstigen Kraftwerk Tyssedal kann man einen Besuch abstatten.

Nächster Stopp ist Nesflaten. Die Ortschaft in der Suldal-Gemeinde ist ein Augenschmaus für Architekturliebhaber:innen. Aus aller Herren Länder kommen Designfans zum Energihotellet, das Mitte der 1960er-Jahre mit dem benachbarten Kraftwerk entstand. Das Hotel diente ursprünglich den Manager:innen der Energiezentrale als Unterkunft.

Betonstil im Zeitgeist von einst kennzeichnet die Bauten, die vom Architekten Geir Grung (1926-1989) geplant wurden. Ungewöhnlich der kreisrunde Kontrollraum des Kraftwerkes: UFO wird er genannt und könnte auch die Kulisse für ein James Bond-Abenteuer abgeben.

Ein Sprung von der Betonarchitektur zurück in die Jugendstilzeit folgt am Kraftwerk Tyssedal am Hardangerfjord, gut eine Autostunde entfernt. Ein stolzer, weißer Industriebau, 180 Meter lang, ab 1908 in Betrieb. 15 Generatoren produzierten hier Strom. Damit war 1980 abrupt Schluss, ein riesiger Felssturz zerstörte die Rohrleitungen und Teile des Bauwerks.

Heute jedoch erstrahlt Tyssedal als Kraftmuseet in neuem Glanz: ein Museum und Industriedenkmal mit vollständig erhaltener Einrichtung aus seiner Gründungszeit, mit Turbinen, Generatoren und einem imposanten Kontrollraum. Dort sind die vielen Schalter, Schieber, Knöpfe und Uhren in kostbarem Carrara-Marmor eingelassen. So aufwendig und stilvoll bauten sie damals ihre Kathedralen der Technik.

Reiseinformationen zur Ryflyke-Route

Die Ryfylke-Landschaftsroute ist eine 260 Kilometer lange, beschilderte Straße durch das Fjordland im Südwesten von Norwegen. 

Anreise

Mit dem Auto über Dänemark mit der Fähre nach Kristiansand, von dort über die E 39 nach Stavanger und weiter zum Lysefjord. Oder mit dem Flugzeug bis Stavanger, von dort mit einem Mietwagen in die Region.

Beste Reisezeit

Die beste Reisezeit für einen Roadtrip durchs Fjordland reicht von Ostern bis Ende Oktober. Im Winter kann es zu Schneefällen kommen, dann sind Teilstrecken der Route gesperrt.

Unterwegs mit dem Auto

Alle Fahrzeuge in Norwegen müssen auf bestimmten Strecken Straßen- und Brückenmautgebühren bezahlen. Die Fahrzeuge werden automatisch per Kameras über das Kennzeichen für die Maut erfasst. Die Rechnung wird an die registrierte Adresse gesendet. Man kann auch vor der Reise ein Epass24-Konto einrichten, über das die Gebühren bezahlt werden. Tempoverstöße werden hart bestraft, ebenso die Nutzung von Handys am Steuer. Das Tempolimit beträgt 50 Kilometer pro Stunde innerorts, 80 km/h außerorts und 80 bis 100 km/h auf den wenigen Autobahnen.

Unterkünfte

Es gibt Hotels, Hütten, Campingplätze und Reisemobilstellplätze. Eine Übernachtung im Hotel-Doppelzimmer kostet ab 90 Euro.

– Bernd F. Meier, dpa

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