Mehr als Sylt kann man als Urlaubsinsel kaum werden. Sie belegt die Loge dicht an den Wolken. Die „Königin der Nordsee“ muss sich nicht um Liebhaber bemühen. Sie schätzt ihre vielen Stammgäste, ist aber offen für Neue und Neues.
Sylt – schon der Name hat einen Zauber. Das stelle ich immer dann fest, wenn ich von „der Insel“ erzähle. Entweder kommt lobende Zustimmung, und es enttarnen sich viele für mich oft unerwartet als Sylt-Fans, indem sie sagen: „Ich fahre nächste Woche auch wieder hin...“ Oder ich höre die kennerhafte Gegenfrage: „Wo bist du da genau?“ Selten wehrt jemand ab.
Ich fahre seit meiner Kindheit nach Sylt, immer wieder. Ich habe die Dünen noch von der langsamen Inselbahn aus gesehen. Was war das für ein Nahverkehrsgefühl, und sie hieß „rasende Emma“! Wenn ich heute auf der ehemaligen Trasse von List bis Hörnum radle, denke ich manchmal daran zurück. Ich erinnere mich auch noch, wie ich mit meinen Eltern im Morgengrauen zum Lister Hafen fuhr, um frische Schollen vom Kutter zu kaufen. Ich habe Häuser gesehen, die inzwischen über die Kliffkante gestürzt sind. Ich habe Sturmfluten erlebt und meinen Vater bewundert, wie er spontan half, Strandkörbe vor dem Untergang zu retten.
Einen Winter saß ich fest, weil die Schneemassen meterhoch die Gleise zum Festland bedeckten – und es gab keine Brandung mehr. Was für eine bedrückende Stille am Strand! Eisschollen hatten sich im Meer gebildet, waren zum Ufer getrieben und festgefroren. Aus all den Erlebnissen wächst in mir ein ständig größer werdendes Inselpuzzle – doch es wird niemals fertig.
Sylt kann Fragen provozieren: Bin ich hier noch richtig? Was hat sich auf meiner Insel verändert? Was in mir? Sylt wird durch die Menschen geprägt, die es betreten, aber es hält ihnen auch den Spiegel vor. Der Austausch ist intensiv. Das liefert genug Stoff für eine lebenslange Freundschaft, denn die Etiketten sind so verschieden. Jeder stanzt sich sein eigenes Sylt-Puzzle.
Der eine lebt in friesischer Reet-Seligkeit, der andere gibt sich sturmfest und strandverwachsen. Sie liebt Cocktails und vegane Suppen, er bezeichnet jedes Sylter Galloway-Steak unter 300 Gramm als Carpaccio. Sylt, das sind gelebte Unterschiede. Hier die Kraft der Brandung spüren, da die Kunst am Watt begutachten. Kliffromantik in der Abendsonne oder die Morgenröte am Lister Watt auf sich wirken lassen. Genießerlokale testen oder mit besten Zutaten von der Insel selbst kochen.
Dem Flug der Möwen nachschauen oder Schampus in der Strandbar schlürfen. Irgendwann kommt der Tag des Abschieds. Es ist hilfreich zu sehen, wie andere Liebhaber der Insel damit umgehen. Manche lassen etwas hier – einen Wohnwagen, einen Koffer oder eine Skizze im Sand. Das beste Mittel gegen Abschiedskummer aber ist ein festes Datum für die Wiederkehr.