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Natur

Hausboot-Urlaub in Irland: Entschleunigung auf dem Shannon

Ganz gemächlich fließt der Shannon River durch das Herz von Irland. Eine Woche lang war unsere Autorin mit dem Hausboot auf Irlands großem Strom unterwegs. Für ein paar Tage wurde sie Teil der freundlichen Fluss-Community, übte sich als Kapitänin – und in der Kunst der Langsamkeit.

Text Andrea C.  Bayer
Datum 18.10.2022
© Isabela Pacini

Ein Quietschen begleitet das behäbige Schließen der Holztore hinter uns. Der Wasserspiegel in der Schleusenkammer sinkt, durch meine Hand gleitet ein blaues Tau. Es führt um einen Poller und hält unser Hausboot sicher an seinem Platz, während aus den Steinplatten neben uns kleine Rinnsale sickern. Plötzlich bewegt sich die Hydraulik des vorderen Tores. Das „Daumen hoch“ vom Schleusenwärter ist unser Signal: Zwei Meter Höhendifferenz zwischen dem Jamestown Canal und dem Shannon sind überwunden. Volle Kraft voraus! Oder zumindest erst mal ein paar Knoten, ganz vorsichtig.

Die Schleusen sind von uns anfangs gefürchtete Hindernisse im Wassersystem des Shannon und seiner Seitenarme, durch das meine langjährige Reisefreundin und Co-Kapitänin Deborah und ich am liebsten nur gemütlich tuckern wollen. Wir sind im oberen Teil des Stromes unterwegs, der mit 368 Kilometern der längste Fluss in ganz Irland ist. Von Norden nach Süden streckt er sich einmal durch die Landesmitte, die sogenannten Heartlands, und mündet bei Limerick in den Atlantik. Mal ist der Fluss so schmal, dass wir bangen, ob wir mit unserem Boot überhaupt durchpassen. Mal schlagen Miniwellen vor den Bug, und wir genießen die Weite von Seen, die in Irland loughs heißen. Der Shannon ist zum Glück ein geduldiger Kumpel. Tag für Tag pflügen Dutzende Hausboote mitunter übermütiger Freizeitkapitäne zwischen seinen Ufern hindurch. Und jetzt auch noch wir.

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Start in Carrick-on-Shannon

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Deborah und ich sind Neulinge auf dem Gebiet der motorisierten Boote. Eine Woche wollen wir auf dem Shannon unterwegs sein. Das Boot ist mit gut zehn Metern doppelt so lang wie mein mir vertrautes Kajak und über siebeneinhalb Mal so breit. Respekt haben wir vor unserer schwimmenden Unterkunft, vor den Schleusen und vor allem vor dem Anlegen und Festmachen. „Lasst euch einfach Zeit“, beruhigt uns Technikengel Padraig vom Bootsverleih „Carrickcraft“ gleich am ersten Tag, als er uns nach geduldiger Einweisung in Carrick-on­­-Shannon in unser Hausboot-Abenteuer entlässt. Vorwärts. Langsam. Jetzt vorsichtig etwas zurück. Seitlich ran. Mir schwirrt der Kopf. Eine halbe Stunde habe ich nichts anderes gemacht als Anlegen geübt. Jetzt gehen wir erst mal einkaufen.

Am Abend ist Lagebesprechung. Die Gewässerkarte mit Infos zu Schleusen, Brücken und Häfen liegt vor uns. Morgen wollen wir zuerst ein Stück nach Norden fahren, am vierten Tag dann über Carrick-on-Shannon wieder gen Süden. Wir sind gespannt, wie wir zwischen Kajüte und Kombüse zurechtkommen werden, und auf all das, was die Heartlands ausmachen soll: eine grundehrliche Freundlichkeit der Menschen und eine Ruhe, wie sie nur die wenig besuchte Natur im Herzen der Insel bieten kann.

Mammutbäume im Lough Key Forest

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Unser erstes Ziel ist der „Lough Key Forest and Activity Park“, ein Naturpark an einem bewaldeten Uferstück des Lough Key. Als wir uns dem Hafen nähern, ist er auf den ersten Blick schon recht voll. Deborah und ich schlagen uns tapfer, aber ein paar Hände mehr wären ein Segen, und so nehmen wir dankend die Hilfe zweier Herren an, die unserem Boot schon entgegen eilen und die Taue in Empfang nehmen. So klappt das erste Anlegen unserer Tour, und wir können uns beim anschließenden Sonntagsbrunch an Deck entspannen. Rasch sind Rührei, Kuchen und frischer Kaffee auf dem Tisch. Danach starten wir eine Spazierrunde durch den Park. Denn genau so haben wir uns diese Woche vorgestellt: Wir wollen das Wassererlebnis genießen, nebenbei aber auch erkunden, was die Ufer des Shannon so bieten.

Heute sind das riesige Mammutbäume und Holzbohlenpfade, die wir auf unserem Streifzug durch die sumpfartige Landschaft der bog gardens fast ganz für uns haben. Das Eis, das wir uns im Anschluss gönnen, essen wir im irischen Hochsommer: Das Blau am Himmel strahlt mit all dem Grün darunter um die Wette, auf den Stegen am Hafen nehmen Kinder Anlauf und platschen laut prustend ins Wasser. Wir mieten uns spontan ein hölzernes Ruderboot, um das McDermott’s Castle aus der Nähe zu betrachten, eine Schlossruine, die romantisch auf einer kleinen Insel im See sitzt. Spät am Abend wechselt die Szenerie, der Himmel wird apricot-lilafarben und verwandelt sich dann in ein warmes Taubengraublau mit Gelbspritzern. Von der Jacht gegenüber dringen Gitarrenakkorde zu uns herüber. Deborah und ich stoßen mit einem Glas Weißwein auf diesen erfolgreichen Tag unseres Hausboot-Abenteuers an.

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Schöne Aussicht beim Frühstück an Bord
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Nicht immer einfach: Fahrten durch die Schleusen
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Beim Anlegen findet sich immer eine helfende Hand

Hausboot-Tour in Irland: Per Anhalter zum Hafen

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So entspannt dieses Bordleben sein kann, so sehr fremdle ich noch mit der Entschleunigung: Mit dem monoton tuckernden Motor ist unser Hausboot zwar schneller als ich in meinem Kajak, aber so richtig zügig kommen wir doch nicht voran. Dafür bleibt ausreichend Zeit, um die Landschaft der Heartlands aus unserer ungewohnten Perspektive zu betrachten. Wir schauen auf Berge, die wir gerne erwandern würden, und über schnurgerade Kanäle hinweg, von denen wir in so manche einbiegen. Andere spazieren wir entlang: etwa auf dem Wanderweg, der von unserem Hafen in Leitrim aus nach Drumshanbo führt. Vier Kilometer gehen wir bis zur engen Schleuse Drumleague und fragen uns, was passiert, wenn hier im Kanal ein Boot entgegenkommt. 

Schneller als gedacht wird die Frage beantwortet – von Geraldine und Patrick Shalvey, die mit ihrer „St. Brendan“ die Schleuse passieren und spontan anbieten, uns bis Acres Lake kurz vor Drumshanbo mitzunehmen. „Die Schleusenwärter haben im Blick, wo gerade ein Boot unterwegs ist“, erklären sie, nachdem wir an Bord gesprungen sind. Wir sitzen auf dem Vorderdeck und erliegen für den Moment dem fantastischen Gefühl, weder steuern noch anlegen zu müssen. 

Pause bei Gin und Scones

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Nach unserer Hausbootfahrt per Anhalter besuchen wir in Drumshanbo die noch recht junge Destillerie „The Shed“. Hier entsteht Whiskey, Wodka und vor allem Gin, stets abgefüllt in stilvolle Behältnisse, die an Apothekerflaschen erinnern. Brendan Gunning führt uns durch die Stationen der Produktion, sogar auf Deutsch – er ist der Sohn der gebürtigen Schwarzwälderin, die uns am Samstag beim Bootsverleih empfangen hat. Immer mehr wirken die Heartlands auf mich wie die Kulisse einer gut gemachten Daily Soap, nur ohne die Intrigen. Man begegnet uns ausnahmslos hilfsbereit und wohlwollend, jeder scheint jeden zu kennen, zumindest über Ecken. Auch wir fühlen uns bereits als Teil dieser unaufgeregten Community aus Hausboot-Gästen und Einheimischen. Es ist, wie Maciek Kaczmarek, der mit seiner Mutter Anna das Café „Cake Me Away“ in Carrick-on-Shannon führt, uns gleich am Anfang der Reise bei Törtchen und Scones erzählte: „Die Menschen hier sind unfassbar nett und lieben die Gemeinschaft.“

Die nächste Folge unserer persönlichen Shannon-Soap folgt schon am Abend: Nach dem Dinner in Drumshanbo chauffiert uns Pub-Besitzer Henry höchstpersönlich zurück nach Leitrim zu unserem Boot – weil’s für den Bus zu spät ist und mit einem Taxi irgendwie schwierig. In mir keimt da langsam der Verdacht, dass die Heartlands nicht nach ihrer geografischen Lage, sondern nach der Gastfreundschaft und Herzlichkeit ihrer Bewohner benannt sein müssen.

So zauberhaft die Menschen sind, so wechselhaft ist das Wetter. Das erwartet man so von Irland, und ich wäre schwer enttäuscht gewesen, hätte der reine Sommerzauber angehalten. Ich mag es, in meiner bunten Regenjacke am Steuerrad zu drehen und die Kapuze in den dicken Regentropfen etwas weiter nach vorne zu ziehen. Aber als wir auf dem Weg nach Süden wieder an Carrick-on-Shannon vorbeiziehen, reißt es auf. Frühling und Herbst am Morgen und zum Nachmittag hin Sommer, das gefällt mir.

Happy End in den Heartlands

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So richtig unseren Groove finden wir auf dem Hausboot, als wir am sechsten Tag Richtung Black Lough abbiegen. Die Enge und Abschnitte mit Zickzackkurs machen uns nichts mehr aus, der Blick schweift vom Führerstand ins Unendliche. An das Tuckern des Motors haben wir uns gewöhnt, an die Stille am Abend auch.

Unseren letzten Tagesausklang vor der Rückfahrt nach Carrick-on-Shannon verbringen wir in Grange. Wir sind die einzigen Gäste im kleinen Hafen unterhalb des Pubs „The Silver Eel“ – die perfekte Kulisse für das Happy End unserer Tour. Hier probieren wir endlich ein Glas Drumshanbo-Gin und erkennen, dass wir in nur einer Woche zu echten Fans der Shannon-Soap geworden sind. Die Schauplätze zwischen histo­rischen Burgen und malerischen Orten, vor allem aber die liebenswürdigen Darsteller – es sind allesamt gute Gründe, um bald für eine weitere Staffel in die Heartlands zurückzukehren.

Tipps für einen Irland-Urlaub mit Hausboot

Buchen

Als Anfänger ist man gut beraten, sich nicht zu viel vorzunehmen. Tipps rund um die Boote, Häfen und Schleusen gibt’s bei der Übernahme in Carrick-on-Shannon oder auch in Banagher. Ein Hausboot lässt sich bestens aus Deutschland buchen, etwa über Dertour in Kooperation mit „Hausboot Irland“. Frühzeitig reservieren!

Packen

Der Rucksack fürs Hausboot ist schnell gepackt: Bequeme Freizeitkleidung im Zwiebelprinzip ist empfehlenswert, dazu auf jeden Fall ein warmer Pullover und eine Regenjacke mit Kapuze. An Bord sind Turnschuhe gut. Bettzeug, Handtücher und Küchenaus­stattung sind vorhanden. Weitere Details finden sich in den Packlisten der Charterer.