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Kultur

Documenta fifteen startet: Die Kunst-Schauplätze in Kassel

In Kassel startet die 15. Ausgabe der Documenta. Die ganze Stadt wird im Sommer 2022 ein spannender Schauplatz moderner Kunst und aktueller Debatten. Generaldirektorin Sabine Schormann zeigt bei einem Rundgang die wichtigsten Orte in Kassel.

Datum 17.06.2022

„Das hier ist so etwas wie das Hauptquartier der documenta fifteen“, sagt Sabine Schormann und zeigt auf ein Kaufhausgebäude der Nachkriegs-Architektur in der Treppenstraße, Station Nummer eins auf einem Rundgang mit ihr durchs Zentrum von Kassel. 

Tatsächlich ist das ruruHaus nicht nur Hauptquartier für die Documenta, die vom 18. Juni bis zum 25. September 2022 in Kassel stattfindet. Sondern auch ihr Symbol. „Es ist die erste Documenta, die mit der indonesischen Gruppe Ruangrupa von einem Kollektiv kuratiert wird.“ Sabine Schormann ist Generaldirektorin der „documenta und Museum Fridericianum gGmbH“, seit 2018 leitet sie die Planung der bedeutenden Ausstellungsreihe für zeitgenössische Kunst.

Hauptquartier der Documenta: ruruHaus

© Georg Knoll

Sie hat die documenta fifteen wachsen sehen, vom ruruHaus aus: Zwei der Ruangrupa-Künstler:innen leben seit 2019 in der Stadt, haben das „Hauptquartier“ zu einem Ort der Begegnung gemacht – mit den anderen Gruppenmitgliedern, vor allem aber mit den Menschen aus Kassel. „Nongkrong“ ist das indonesische Wort für „gemeinsam abhängen“, und genau das ist ein zentrales Element für die Arbeit von Ruangrupa. 

Hier im ruruHaus wird die künstlerische Praxis geformt, die der documenta fifteen zugrunde liegt – durch Veranstaltungen und Diskussionen. „Das fand ich eine besonders interessante Herangehensweise“, erzählt Schormann, „wie sie auf diese Art ihr persönliches Mapping von Kassel geschaffen haben. Sie haben sich hier eben nicht einfach nur den schönsten Ort für ihre Kunst gesucht. Sondern die Einwohner:innen eingeladen, ihnen die Orte zu zeigen, die für die Stadt besonders wichtig sind.“

Herzstück der Documenta fifteen: Das Fridericianum

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Und so bringt die documenta fifteen zeitgenössische Kunst nicht nur ins Zentrum, etwa ins Fridericianum, wo Sabine Schormann als nächstes hinführt. Das Ausstellungshaus am Friedrichsplatz ist traditionell das Herzstück jeder Documenta. 2022 bespielt die Documenta gezielt auch Orte im weniger bekannten Osten der Stadt, in Bettenhausen, auf dem Areal der Hübner GmbH & Co KG und das nahe Hallenbad Ost. In einem Industrie- und Arbeitergebiet also, das zum Teil noch dörfliche, bäuerliche Züge hat. Wo man hier und da noch Fachwerk sieht, so wie einst auch im Zentrum von Kassel – bevor die Fachwerk-Altstadt im Zweiten Weltkrieg so gut wie komplett zerstört wurde.

Die erste Documenta, 1955 von dem Künstler und Hochschullehrer Arnold Bode initiiert, linderte dieses Trauma der Stadt ein Stück weit. Sie versöhnte die Bewohner:innen mit den neuen Bauten, mit denen Kassel nach dem Krieg schnell und pragmatisch wiederaufgebaut worden war, und sollte ihnen die moderne und zeitgenössische Kunst wieder nahebringen, nachdem sie unter den Nationalsozialisten verboten und geächtet gewesen war. Und so war die Documenta, dieses einzigartige 100-Tage-Museum, immer schon mehr als eine Ausstellungsreihe. Von Anfang an ist sie eng verbunden mit der Identität der Stadt.

„Die Documenta ist überall zu sehen“

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„Die Documenta ist überall in Kassel zu sehen“, sagt Sabine Schormann, „nicht nur alle fünf Jahre, wenn sie tatsächlich stattfindet. Mindestens ein Kunstwerk bleibt von jeder Documenta und wird in der Stadt eingefügt.“ Einige davon zeigt sie auf diesem Rundgang; das Gros der Außenkunstwerke befindet sich in Kassels Zentrum. Seien es Joseph Beuys’ „7000 Eichen“ aus den 1980ern oder der Penone-Baum in der Karlsaue: Im Vorfeld der Documenta von 2012 bezog sich Giuseppe Penone mit seinem bronzenen Baum, der im gekappten Geäst einen Findling trägt, auf Beuys’ Aktion. 

Die vielleicht meistgeliebte Skulptur der Kasseler ist der Himmelsstürmer, entworfen 1992 von US-Künstler Jonathan Borofsky. Heute steht er auf dem Vorplatz des Kulturbahnhofs und wird gerne als Symbol für die aufstrebende Entwicklung der Stadt gedeutet. Sie prägen das Stadtbild, diese Außenkunstwerke, und sie erinnern daran, welchen gesellschaftlichen und politischen Themen sich die jeweilige Documenta stellte. 

Denn politisch ist jede Documenta, wie Sabine Schormann nur wenige Schritte vom ruruHaus entfernt in der Treppenstraße zeigt: Den rund 16 Meter hohen Obelisken Fremdlinge und Flüchtlinge hat der nigerianisch-amerikanische Künstler Olu Oguibe entworfen – auf dem Obelisken steht in den vier in Kassel am häufigsten gesprochenen Sprachen, also auf Deutsch, Arabisch, Türkisch und Englisch, ein Zitat aus dem Matthäus-Evangelium: „Ich war ein Fremdling, und ihr habt mich beherbergt.“

Kassel: Orte des Zusammenseins

© Nicolas Wefers

Was werden die Themen der documenta fifteen sein? „Ruangrupa geht es um ökologische, aber auch um ökonomische und soziale Fragen. Sie gehen diese Fragen sehr partizipativ an und genau das, die Inhalte und die Herangehensweise, begeistert gerade junge Menschen so für die documenta fifteen“, sagt Schormann. Im Grunde gehe es um die große Frage unserer Zeit, die überall auf der Welt identisch sei: Wie wollen wir zusammenleben?

Es sind solche Orte, das spürt man auf diesem Rundgang, die Sabine Schormann besonders mag, hier in Kassel. Orte, an denen man sich trifft und an denen man ins Gespräch kommt – sei es beim Wein an der Bar des italienischen Restaurants Il Teatro, beim Smørrebrød im Café Frokost oder beim gemeinsamen Stöbern in dem Geschenkeladen Kramer Schupp, um da- nach noch zusammen einen Kaffee zu trinken. Es geht darum, in Kontakt zu bleiben – denn Gemeinschaft braucht das.

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