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Wann wird die Sagrada Família fertig? Co-Architekt im Interview

Eine Sehenswürdigkeit der Superlative: Die Sagrada Família ist Barcelonas Ikone, geliebtes Wahrzeichen und Dauerbaustelle. Co-Architekt Mauricio Cortés spricht im Interview über die abschließenden Arbeiten, letzte Herausforderungen und die beeindruckenden Besonderheiten der Kirche.

Text Mila Krull
Datum 04.12.2022

Kein Bauwerk wird in Barcelona so verehrt wie dieses: Im Viertel Eixample erhebt sich die Sagrada Família aus dem Boden der Großstadt und schimmert im Licht wie die schroffen Felsen des nahen Montserrat-Gebirges. 172 Meter ragt sie in die Höhe, 140 Jahre nach ihrem Baubeginn, umschmiegt von Gerüsten und höher hinaufragenden Kränen. Noch immer ist das Werk des Ausnahme-Architekten Antoni Gaudí (1852-1926) eine Baustelle. 

Eigentlich war die Fertigstellung für den 100. Todestag seines Schöpfers im Jahr 2026 geplant, doch die wird sich wohl in die nächste Dekade verschieben. Voran geht es trotzdem. Die heutigen Architekten um Jordi Faulí und seinen Assistenten Mauricio Cortés, die sich noch immer an den wegweisenden und bis zur Perfektion ausgearbeiteten Originalplänen Gaudís orientieren, sind bereits mit den abschließenden Turmarbeiten beschäftigt. Im Interview gewährt Cortés einen spannenden Einblick in seine Arbeit. 

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Sagrada Família-Architekt Mauricio Cortés im Interview

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MERIAN: Wann kamen Sie erstmals in Berührung mit den Arbeiten von Antoni Gaudí?

Mauricio Cortés: Es war in den ersten Jahren an der Universität. Ich studierte Architektur hier in Barcelona. Mein erster Kontakt mit Gaudí war über Bücher. Später, im Jahr 2002 besuchte ich das erste Mal die Sagrada Familía. Ich war überwältigt von der Schönheit und dem Ausmaß des Projektes. 

Was bewundern Sie an Gaudí und seinem Werk?

Mich faszinierte, wie kreativ seine Arbeit war und wie unerwartet seine architektonischen Lösungen. In der modernen Architektur ist diese Explosion von Kreativität und Formen nicht besonders üblich. Auch faszinierte mich, wie besonders die Orte waren, die er gebaut hat. 

Welchen Einfluss hatte Gaudí auf Barcelona?

Er hat Barcelona in der Welt bekannt gemacht. Bereits zu Lebzeiten hat Gaudí realisiert, dass er mit der Sagrada Familía etwas Herausragendes baut. Er sagte schon damals, dass eines Tages Menschen aus aller Welt kommen wollen, um zu sehen, was hier getan wird.

„Ich war überwältigt von der Schönheit und dem Ausmaß des Projekts.“

Inspiriert von Bergen und Bäumen

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Wie gelang es Gaudí, derart komplexe Formen zu kreieren?

Ein großer Teil davon ist seinem Talent und seinem Genie zuzuschreiben. Auch der soziale Kontext sowie die damalige kulturelle Explosion in Kunst und Literatur spielen eine Rolle. Die ökonomische Überfluss während der Renaissance, ausgelöst durch die Industrialisierung, ermöglichte zudem die Realisierung solcher Projekte. 

Typisch für Gaudís Stil ist seine Nähe zur Natur. Hat ihn seine Kindheit in Katalonien inspiriert?

Ja, seine Arbeit enthält viele Verbindungen zu den Bergen, etwa dem Montjuïc in Barcelona oder dem Montserrat-Gebirge, sie ist voll von lokalen Bezügen. Gaudí war als junger Architekt Teil des Katalanischen Modernismus, der anderen europäischen Stilen wie etwa dem Jugendstil oder dem Secessionsstil aus Wien ähnelt. All diese Bewegungen enthielten Elemente aus der Natur und organische Formen in ihren Entwürfen. Gaudí tat dasselbe, nur ging er noch einen Schritt weiter, indem er sich nicht nur beim Design, sondern auch bei seinen Konstruktionen von der Natur inspirieren ließ. Zum Beispiel von Bäumen, deren Struktur er in seiner Architektur übernahm.

Auf der Suche nach den besten Baustoffen

© Pep Daude/ Fundaciió Junta Constructora de la Sagrada Família

Inwiefern helfen Ihnen Gaudís geometrische Systeme und maßstabsgetreuen Modelle, die Bauarbeiten an der Sagrada Família fortzuführen?

Das letzte Haus, das er vor der Sagrada gebaut hat, war das Casa Milà. Dieses Gebäude ist komplett organisch mit freien Formen aus Stein. Aber in dem letzten Abschnitt seines Lebens entwickelte Gaudí für die Sagrada Família ein geometrisches System für Oberflächen von doppelter Krümmung, die aus geraden Linien heraus generiert werden können. Er hat somit einen neuen Weg gefunden, organische Formen zu konstruieren. Statt diese frei zu entwerfen, gestaltete er sie mit einer soliden geometrischen Basis. Seine Inspirationen dafür fand Gaudí wieder in der Natur, zum Beispiel an den Wurzeln der Bäume oder an Muschelschalen, die aufgrund ihrer gebogenen Formen sehr stabil sind. 

Die Lösungen, die Gaudí für die Kirchenschiffe designte, enthalten fast alle Oberflächen mit doppelter Krümmung. Gleiches gilt auch für die Geometrie der Türme. Bereits damals arbeitete Gaudí mit großen Gips-Modellen im Maßstab 1:25 oder 1:10. Auch heute arbeiten wir viel mit Modellen, nutzen mittlerweile allerdings Modelle aus dem 3D-Drucker.

Welche Materialien wurden für den Bau genutzt?

Gaudí baute die Krypta und die Geburtsfassade aus Steinen. Für die Turmspitzen wurden frühe Arten von Beton verwendet. Die Kirchenschiffe wurden später aus Stahlbeton erbaut, auch weil die strukturellen Anforderungen und Erdbebenvorgaben so vorsahen. Das Gewölbe des Hauptschiffes ist ein sogenanntes katalanisches Gewölbe aus Backsteinen. Aktuell sind wir dabei, die zentralen Türme zu erbauen. Dafür sind wir zurückgegangen und verwenden wie in den Anfängen Stein. 

Um den modernen Anforderungen gerecht zu werden, verstärken wir den Stein zusätzlich mit Metallstreben. Die Steine, die Gaudí früher nutzte, stammten vom Montjuïc. Aber der Steinbruch hat bereits vor langer Zeit geschlossen, es gibt heute keinen Montjuïc-Stein mehr. Wir sind daher um die Welt gereist, um nach neuen Baustoffen zu suchen. Das besondere an dem Originalstein ist, dass er viel Eisen enthält. Dadurch wirkt er manchmal gelb, manchmal rosa und meist braun. Es war nicht einfach, ein Material zu finden, dass diese Farbfacette abbildet. Heute nutzen wir Steine aus Galizien, aus Großbritannien und aus Deutschland.

Baupläne: Wann wird die Sagrada Família fertiggestellt?

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Welches Detail gefällt Ihnen an der Sagrada Família am meisten? 

Die Geburtsfassade, denn dabei handelt es sich nicht um eine flache Fassade. Sie verfügt über eine Vielzahl an inneren Räumen, die die Öffentlichkeit nicht sehen kann. Sie ist voller Kammern und Treppenhäusern wie eine Art Labyrinth. Dieses Bild haben wir von vielen mittelalterlichen Kathedralen, die wirken wie Labyrinthe. Die Geburtsfassade, wie auch die Passionsfassade sind wie in sich geschlossene Gebäude mit vielen Zimmern und Kammern. 

Was waren die größten Herausforderungen der vergangenen Jahre?

Vor Covid hatten wir einen sehr ambitionierten Zeitplan. Doch als die Basilika und das Büro geschlossen wurden, mussten wir die Pläne überdenken. Die Stiftung hat sich darauf geeinigt, dass wir mindestens einen Turm fertigstellen. Im letzten Jahr haben wir also den Marienturm, an dem ich beteiligt war, mit dem Stern gekrönt. Glücklicherweise hatten wir all die Materialien, den Stein und das Metall bereits vorrätig und mussten nicht auf Lieferungen warten. Nur so war es möglich, den Turm fertigzustellen. Es war eine große Herausforderung unter diesen Umständen zu arbeiten. 

„Wir haben alles neu terminiert.“
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Die Sagrada Família sollte ursprünglich 2026 fertiggestellt werden. Können Sie diesen Plan noch einhalten?

Die Pläne mussten überarbeitet werden. Wir haben alles neu terminiert. In diesem Jahr wollen wir zwei der vier Evangelisten-Türme fertigstellen. Auch der Jesus-Turm soll bis Plattform neun von zwölf abgeschlossen werden. 2023 wollen wir die weiteren Evangelisten-Türme fertigstellen, damit wir uns in den Jahren 2024 und 2025 komplett dem zentralen Jesus-Turm widmen können. 

 

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Welche weiteren Werke Gaudís würden Sie Besucher:innen ans Herz legen? 

Ich empfehle einen Besuch im Park Güell. Gaudís Vision war es, eine Gartenstadt mit 60 Grundstücken zu entwickeln. Doch für seinen Auftraggeber Eusebi Güell war das Projekt ein finanzielles Desaster. Jetzt ist der Park ein öffentliches Gelände, das es eigentlich gar nicht hätte werden sollen. Auch ein Besuch bei der Krypta in der Colonia Güell außerhalb von Barcelona ist lohnenswert. Für Gaudí war dieser Ort eine Art Labor, um Lösungen für die Sagrada Familía zu testen. So zum Beispiel sein Modell der hängenden Ketten. Alles dort wurde zudem aus recycelten Materialien erschaffen. Dort kann man eine Menge über Gaudís Prozesse lernen und darüber, wie die Sagrada Família zu der Kathedrale wurde, wie wir sie heute kennen.

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