Ein Haus und seine Geschichte: Das Grand Hôtel Stockholm

Kaum vorstellbar, das mit den Braunbären. Sie durften hier herumtollen, unter Kronleuchtern, zwischen Säulen mit vergoldeten Kapitellen: im Foyer des Grand Hôtel an Stockholms Uferpromenade. Vor fast genau 150 Jahren war das; die beiden Bären waren das Geschenk eines russischen Diplomaten an jenen Mann, dessen Porträt in goldenem Rahmen an einer Wand im Foyer hängt: Régis Cadier. Der Franzose führte zuvor die Küche im Königspalast, doch als der Seehandel in Stockholm aufblühte, erkannte Cadier, was den betuchten Kaufleuten fehlte: ein Luxushotel von Weltformat.
König Oscar II. ließ seine Beziehungen zu reichen Investoren spielen, 1874 eröffnete Cadier das Grand Hôtel Hotel. Heute ist es das einzige in Schweden, das in die Leading Hotels of the World aufgenommen wurde. „Dieses Haus ist ikonisch in vielerlei Hinsicht“, sagt Pia Djupmark, sie ist seit elf Jahren CEO des Hauses. In ihrer Dienstzeit wurden die Fassade, der legendäre Wintergarten und viele Zimmer renoviert. „Es soll kein Museum sein, sondern ein modernes Hotel, das seine Geschichte immer im Kopf behält“, sagt sie. „Ich frage mich oft: Was würde Régis Cadier tun, wenn er heute leben würde?“
An der Cadier Bar im Grand Hôtel Stockholm

Wahrscheinlich würde es ihm hier gefallen, in der nach ihm benannten Cadier Bar mit Ranken aus Stuck und dunkel vertäfelten Wänden. Die Bar sei „das Herz des Hotels“, sagt Pia Djupmark. Jeder, der mal beruflich in Stockholm war, kenne sie: „Unsere Bar war immer ein Ort, um sich zu treffen und neue Geschäfte anzubahnen.“
Von 7 Uhr morgens bis 2 Uhr nachts ist sie geöffnet, schon morgens können die Gäste ein Gläschen Champagner bestellen. Auf der Karte stehen immer auch besondere Kreationen, 2025 sind das 15 Cocktails rund um die hohe Bar-Kunst, etwa „The Distiller“ oder „The Bartender“. Wenn Cadier einst zur Cocktailparty lud, bekamen königliche Gäste die Einladung per Brieftaube geschickt, die Vögel hielt der Hotel-Urvater oben im Turm.
Anfangs reisten die meisten Besucherinnen und Bewohner per Boot an, die Lage am Kai war dafür perfekt. Heute fällt der Blick durch bodentiefe Fenster auf den Norrström, auf dem die Fähren zu anderen Vierteln und den vielen kleinen Inselgruppen rund um Stockholm fahren. Am Ufer gegenüber leuchten der Königspalast, der Reichstag und die Kirchtürme der Altstadt in der Abendsonne. Das heutige Hotel besteht aus vier Gebäuden, die über die Jahrzehnte zusammengewachsen sind. Am markantesten wirkt der Bolinderska palatset.
Der Geist von Wilhelmina Skogh

Sein Treppenhaus mit roten Marmorsäulen und gusseisernem Geländer führte hinauf zu den privaten Gemächern von Régis Cadier – und von Wilhelmina Skogh, ihr Porträt hängt im Foyer neben dem Cadiers. Die Angestellten des Hauses grüßen sie im Vorbeigehen, so geht eine der vielen Hausgeschichten. Manche sollen überzeugt sein, ihren Geist gesehen zu haben.
Wilhelmina Skogh war von 1902 bis 1910 die Direktorin des Hotels – in einer Zeit, in der Schweden nicht einmal das allgemeine Frauenwahlrecht hatte. „Sie war tough“, sagt Pia Djupmark, „eine starke Führungsperson.“ Skogh hatte zuvor drei Hotels an neuen Bahnstrecken gebaut und mit ihnen gutes Geld verdient, nun sollte sie das Grand Hôtel profitabel machen. Dafür eröffnete sie mehrere Restaurants, deren Türen das Haus zugänglicher machten. Durch das Hauptportal zu gehen, da hatten viele Scheu. Bei den Türen fiel es den Gästen leichter.
Vom Palast zum angesagten Hotspot

Skogh änderte vieles: Sie führte Servietten ein (zuvor hatten sich die Gäste ihren Mund am Tischtuch abgewischt!), sie stellte Zimmermädchen anstelle von Männern ein und sie ließ zwischen den Gästen die Bettwäsche wechseln, damals ein Novum. Vor allem aber legte sie den Wintergarten im einstigen königlichen Pferdestall an: ein lichtdurchflutetes Refugium mit Glasdach für die finsteren schwedischen Winter. In der Mitte sprudelte ein Springbrunnen, zwischen Blumen und Gemüse flatterten Schmetterlinge.
In den 1930er-Jahren verwandelte sich der Wintergarten in Stockholms angesagtesten Jazzclub. Heute werden auf einer Bühne mit modernster Licht- und Lautsprechertechnik verschiedene Shows, Hochzeiten und Konferenzen zelebriert. Am hellsten aber strahlen die drei alljährlichen Events: die Gala der schwedischen Ausgabe der Modezeitschrift „Elle“, die Verleihung des Polar Music Prize, eines der wohl wichtigsten Musikpreise Skandinaviens, und die Brilliant-Minds-Konferenz, auf der sich die schwedische Tech-Szene feiert.
Unverhoffte Überraschung am Hotelbett

Dabei werden Modernisierungen nur behutsam vorgenommen, jede Änderung muss vom Denkmalschutz abgenickt werden, und auch das Hotel selbst pflegt achtsam seine Bausubstanz und seine Traditionen. Bis heute huldigen romantische Gemälde in den Arkaden der Insel Gotland, der Heimatinsel von Skogh.
Auch den kleinen Balkon gibt es noch, auf dem sie bei Feiern saß und von hoch oben beobachtete, ob wirklich alles nach ihren Vorstellungen lief. Noch strenger wachte die Direktorin wahrscheinlich über jenes Galadinner, bei dem sie 1901 erstmals alle Nobelpreisträger im Spiegelsaal des Hotels versammelte.

Man kann sich die Herrschaften im Frack an den Festtafeln gut vorstellen, unter den ausladenden Kristalllüstern, um sich herum hohe Spiegeltüren und vor sich die Bühne, wo goldene Säulen den purpurnen Vorhang rahmen. In diesem Prunk speisten die Geehrten, bis das Bankett in den 1920er-Jahren zu groß wurde und ins Rathaus umzog. Bis heute aber wohnen alle Preisträger eine Woche mit ihren Familien im Grand Hôtel.
Und bis heute werden sie von einem Mädchenchor in wallenden Kleidern und mit brennenden Kerzen auf den Köpfen geweckt – eine Hommage an das Fest der heiligen Lucia, das wenige Tage zuvor stattfindet. Doch früher war das Teil des aufmerksamen Service – heute müssen die Geehrten das Ständchen am Bett selbst bestellen, denn die Reaktion war nicht immer wie gewünscht. „Manche waren geschockt“, erzählt Pia Djupmark. „Sie dachten, dass sie sterben und Engel sehen!“
Zwei Bären und 10.000 Flaschen Wein

Damit heute alles läuft wie am Schnürchen, arbeiten etwa 350 Angestellte im Hotel, viele in den 14 Küchen, die Skogh unter die Erde verlegte, damit die Gäste von dem Trubel nicht behelligt werden. Eine Institution ist der britische Afternoon Tea in der Cadier Bar mit Scones und Sandwiches, für den man Monate vorab einen Tisch reservieren muss. Ausgebucht sind oft auch die beiden Restaurants von Starkoch Mathias Dahlgren: das Matbaren, vom Guide Michelin mit einem Bib Gourmand ausgezeichnet, und das Seafood Gastro, welches sogar einen Michelin-Stern trägt. Das Smörgåsbord im Hauptrestaurant Veranda besteht vor allem aus exzellentem Fisch und Meeresfrüchten.
Dazu passt eine der 10.000 Flaschen Wein, die im Keller lagern. Selbst die zwei Flaschen Château Mouton Rothschild von 1874 sind zu bestellen, jeweils umgerechnet für gute 20.000 Euro – und auf eigenes Risiko. Günstiger ist das Jubiläumsbier namens 1874, das ausschließlich im Hotel ausgeschenkt wird. Die Zutaten Fenchel und Salz lesen sich exotisch, der Geschmack aber ist vollmundig und fein balanciert.
Serviert wird es in einer silbernen Bierdose, im Stil eines Comic ist darauf Régis Cadier mit seinen beiden Bärenbabys abgebildet. Die echten Bären mussten in einen Zoo umziehen, als sie groß wurden. Nach ihrem Tod kehrten sie ausgestopft ins Hotel zurück. Es heißt, dass sie bis heute irgendwo in dem riesigen Haus herumstehen.